
Übersicht:
I. Der „Lebensschutz“ als Kampagnenthema christlich-fundamentalistischer Jugendarbeit
1. ProLife Regensburg und der lange Weg zur Akkreditierung als Hochschulgruppe
2. Die rechtsklerikale Piusbruderschaft und ihre Jugendorganisation
1. Das „Vigil für das ungeborene Leben“ und die Gehsteigbelästigung
2. Der Bischof und der „Marsch für das Leben“
3. Die Fürstin und die Stiftung „Ja zum Leben“
III. „Lebensschutz“-Vereinigungen mit Strahlkraft nach Regensburg
1. Der Bundesverband Lebensrecht (BVL) und die Regensburger Professorin für Frauenheilkunde
2. Die AfD und ihr Einsatz als parlamentarischer Arm der „Lebensschutz“-Bewegung
3. Der „ProLife“-Aktivist und sein Wahn vom „Babycaust“
I. Der „Lebensschutz“ als Kampagnenthema christlich-fundamentalistischer Jugendarbeit
Das Schlagwort „pro life“ fungiert weltweit als Selbstbezeichnung von AbtreibungsgegnerInnen bzw. AnhängerInnen der „Lebensschutz“-Bewegung“. Die „Lebensschutz“-Bewegung entstand Anfang der 1970er Jahre zunächst in den USA und besteht aus einer Vielzahl von Gruppen und Einzelpersonen, die das gemeinsame Ziel verfolgen, Schwangerschaftsabbrüche zu kritisieren und dagegen zu agitieren. VertreterInnen der Bewegung fühlen sich für den „Schutz des menschlichen Lebens von der Befruchtung bis zum natürlichen Tod“ zuständig. Ihr primäres Ziel ist es, die Möglichkeiten für Menschen, die ungewollt schwanger sind einzuschränken, um Abtreibungen zu verunmöglichen. Mit der vermeintlichen Positionierung „pro life“, also „für das Leben“ ist dabei stets einseitig das (potentielle) Leben des Embryos gemeint, nicht das der Schwangeren. „pro life“ bedeutet folglich in der Praxis „anti choice“, ist gegen die feministische Grundforderung einer freien Entscheidung einer jeden Frau*, ob sie mir in ihrem Körper ein Kind austragen möchte oder nicht, gerichtet. Die Argumentation „pro life“ ist hierzulande zumeist eine christlich-fundamentalistische, wenngleich es auch extrem rechte und völkische sowie fundamentalistische Interpretationen anderer Religionen gibt, die politisch gegen ein Recht auf Abtreibung kämpfen. Antifeminismus ist hier, wie so häufig, das Bindeglied zwischen verschiedenen menschenverachtenden Ideologien.
In diesem Artikel betrachten wir AkteurInnen und Strukturen der Anti-Abtreibungs-Szene in und um Regensburg. Wir zeigen in einem ersten Kapitel, was hinter der „ProLife Hochschulgruppe“ steckt und thematisieren deren Verbindungen zur Piusbruderschaft in Zaitzkofen. Dass im dortigen Priesterseminar ein ehemalig führender Kopf der extrem rechten „Identitären Bewegung“ unbehelligt seine Ausbildung als Priester absolviert, ist Gegenstand des zweiten Teils des Kapitels. Im zweiten Kapitel problematisieren wir die sogenannten „Vigilien für das ungeborene Leben“, die monatlich mit Unterstützung des Regensburger Bistums stattfinden und in „Gehsteigbelästigungen“ enden, sowie die Rolle des Bistums Regensburg und dessen Oberhaupt, Bischof Voderholzer, in der „Pro Life“-Bewegung. Im abschließenden dritten Kapitel gehen wir auf überregional aktive Organisationen, die sich dem „Lebensschutz“ verschrieben haben, ein und betrachten deren Verbindungen und Bezüge nach Regensburg. Darunter der Dachverband „Bundesverband Lebensrecht“ (BLV) und die Rolle der Professorin Angela Köninger, Chefärztin für Frauenheilkunde am Regensburger Klinikum St. Hedwig, darin. Wir werfen einen Blick auf die aktuelle Programmatik der extrem rechten AfD in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche und ihr Wirken als parlamentarischer Arm der „Lebensschutz“-Bewegung und enden das Kapitel mit einer Vorstellung der Aktivitäten des vorbestraften „Pro Life“-Aktivisten Klaus Günter Annen und seiner holocaustrelativierenden „Initiative Nie Wieder!“ gegen Schwangerschaftsabbrüche in Regensburg.
Der Artikel soll damit einen Überblick über Verbindungen und Ideologien aktuell relevanter AkteurInnen aus dem Milieu der LebensschützerInnen in und um Regensburg geben. So unterschiedlich die hier aufgelisteten AkteurInnen und ihre ideologischen Schwerpunkte teils sein mögen, sie alle eint der – meist religiös begründete – Hang zu rechten bzw. antiemanzipatorischen Positionen. Die Auflistung ist nicht als eine Gleichsetzung der verschiedenen AkteurInnen von der extremen Rechten bis ins rechtskonservative Milieu misszuverstehen. In den einzelnen Abschnitten wird vielmehr auf die spezifische Problematik der jeweiligen AkteurInnen eingegangen. Gleichzeitig sollen aber auch die ideologischen und personellen Verbindungen (und der damit einhergehende Beitrag zur Normalisierung von Rechtsextremismus) zum Ausdruck kommen. Dabei stellt sich der Antifeminismus, wie so oft, sehr deutlich als einendes Element der AkteurInnen heraus.
1. ProLife Regensburg und der lange Weg zur Akkreditierung als Hochschulgruppe
Neben dem allgemeinen Label „pro life“ gibt es eine europaweite Struktur, die politische Aktivitäten von AbtreibungsgegnerInnen organisiert und bündelt. Ein Bestandteil dessen ist die „Stiftung ja zum Leben“, eine bundesweite Anti-Choice-Organisation, zu deren „Stiftungsrat“ im Übrigen auch die Regensburger Fürstin Gloria von Thurn und Taxis zählt. „ProLife Europe“ (PLE) ist ein Projekt dieser Organisation und besteht als 2019 gegründeter Verein mit Sitz in der Nähe von Ulm. Das Projekt vertritt ein „Lebensrecht jedes Menschen von der Befruchtung bis zum natürlichen Tod“ – was definitorisch sogar die Verhütung durch die Spirale ausschließt. Zu dieser europaweit aktiven, insbesondere an junge Menschen und Studierende gerichteten, Anti-Choice-Struktur gehört auch die Gruppe „ProLife Regensburg“ als Ortsgruppe des Muttervereins ProLife Europe. Unter dem Motto „Wir wollen die Wahrheit über die Abtreibung aufdecken und Studenten dabei unterstützen eine Kultur des Lebens in ganz Europa zu verteidigen und zu schaffen“, hat der Verein es sich zur Aufgabe gemacht, insbesondere Studierende für den Lebensschutz zu gewinnen und dafür, sich gegen Abtreibung einzusetzen. Dafür sollen an verschiedenen Orten in Europa, „pro life“-Hochschulgruppen gegründet werden. Die Gruppe „ProLife Regensburg“ stellt aktuell eine der 23 Gruppen in neun europäischen Ländern, die „ProLife Europe“ auf der eigenen Website angibt. Auf der Website heißt es außerdem: „[Abtreibung] ist die größte Verletzung der Menschenrechte und eine Gewalt gegen die Würde des menschlichen Lebens, die heute stattfindet.“

Schon seit vielen Jahren treten Anti-Abtreibungs-AktivistInnen in Regensburg unter dem Label „ProLife“ in Erscheinung. 2021 und 2022 tauchten sporadische Kreide-Schmierereien und selbst bemalte Steine mit entsprechenden Botschaften in der Altstadt auf, die sich der Gruppe „Pro Life Regensburg“ zuordnen lassen. Die Parolen haben es teilweise in sich: „Abtreibung tötet kleine, unschuldige und wehrlose Kinder“ beispielsweise, ist eine klare Schuldzuweisung an Schwangere, die sich für eine Abtreibung entscheiden. Ebenso wie die in keiner Welt zu Aufklärung und sachlichem Diskurs beitragende Parole „Abtreibung = Mord“. Besonders perfide ist auch der Schriftzug „unborn lives matter“, der durch die Anspielung an die „Black Lives Matter“-Bewegung Rassismus relativiert und das Leben von schwarzen Menschen im Endeffekt mit einem Embryo gleichsetzt.

Bereits 2021 hatten sieben Studierende an der Universität Regensburg die Akkreditierung von „ProLife Regensburg“ beim „Studentischen Sprecher*innenrat“ beantragt – was jedoch abgelehnt wurde. Das wertete der Trägerverein „ProLife Europe“ als „Meinungszensur“ und startete im März 2022 eine Online-Petition mit der Forderung nach einer sofortigen Zulassung. Im Oktober überreichte die studentische „ProLife“-Gruppe der Universität Regensburg schließlich 19.156 Unterschriften – dies blieb längere Zeit jedoch ohne Erfolg.
Im Oktober 2023 versuchte die Gruppe „ProLife Regensburg“ eine Veranstaltung von ProFamilia zum Thema Schwangerschaftsabbrüche zu stören. Sie meldeten eine Gegenkundgebung vor dem Veranstaltungsort nahe dem Ostentor an. Knapp 10 AktivistInnen von “ProLife Regensburg” versammelten sich unter dem Motto “Wenn nicht wir, wer dann?” und versuchten, Besuchende mit Schildern wie “Two Bodies – My Choice” oder “Deine Entscheidung – aber was würde dein Kind sagen?”, zu belästigen und einzuschüchtern. Auf Instagram glänzte die Gruppe derweil mit Mottosprüchen wie „Abortion doesn’t make you unpregnant, it makes you the mother of a dead baby„.
Nachdem „ProLife Regensburg“ schließlich einige Jahre erfolglos um eine Akkreditierung als Hochschulgruppe an der Uni gerungen hatte und dabei – mit Unterstützung der international tätigen Alliance Defending Freedom International (ADF), einer christlich-fundamentalistischen Lobby- und AnwältInnen-Gruppe – auch den Rechtsweg nicht gescheut hatte, wurde die Gruppe im vergangenen Herbst (2024) doch noch akkreditiert.
Für Akkreditierungen ist an der Uni Regensburg eigentlich allein der „Allgemeine Studierendenausschuss“ (AStA) zuständig. Dennoch hat die spezielle Akkreditierung von „ProLife Regensburg“ wohl primär die Universitätsleitung in Form des im Zuge des Klageverfahrens von „ProLife“ angebotenen Vergleichs übernommen. So ist auch auf der Homepage der Uni „ProLife Regensburg“ als einzige Gruppe in der neuen Kategorie namens „Folgende Arbeitskreise und Hochschulgruppen sind akkreditiert durch die Universitätsleitung“, zu finden. Durch diese Akkreditierung hat die „ProLife“-Hochschulgruppe nun Möglichkeiten, Räume zu buchen und die Erlaubnis, an der Uni Werbung zu machen und damit auch die Chance, ihren Einfluss auf dem Campus zu vergrößern. Tatsächlich veranstaltete Pro-Life-Regensburg seither mehrfach „Infostände“ an der Uni.

Dazu warnen die Medical Students for Choice, dass zu den wachsenden Gefahren, die durch eine größere Möglichkeit zur Teilhabe von „ProLife“ an der Universität ausgehen, die Verbreitung von Fehlinformationen gehört. Die Formulierung auf der „ProLife“-Website beispielsweise; „[Das Abtreibungsmittel] Mifegyne bewirkt, dass der Embryo zunächst erstickt wird“, stufen die Medical Students for Choice als gezielte Manipulation ein, da im Mutterleib keine Atmung stattfindet. Auch die Aussage, die fetale Herzfrequenz sei bereits ab der dritten Schwangerschaftswoche feststellbar, ist aufgrund der unterschiedlichen Möglichkeiten, eine Schwangerschaft zu berechnen, umstritten – worüber auf der Website jedoch nicht genügend informiert wird. Dies und was eigentlich hinter der neuen Hochschulgruppe steckt, recherchierte kurz nach deren Zulassung an der Uni Regensburg eine Journalistin für das Uni-Magazin „Lautschrift“. Dabei interessierte die Journalistin vor allem, was hinter der aalglatten Fassade der Gruppe vertreten wird. Bei einem „ProLife“-Argumentationstraining via Zoom erfuhr sie, dass zu den Lehrinhalten die Klarstellung gehört, dass das menschliche Leben bei der Befruchtung beginne, ein Schwangerschaftsabbruch folgerichtig immer die Tötung eines Menschen darstelle und die Geburt laut der Leiterin des Trainings nur ein willkürlich gewählter Zeitpunkt sei, ab dem das Kind Menschenrechte habe. Schockiert zeigt die „Lautschrift“-Journalistin sich – völlig zurecht – über einen im Seminar angeführten Vergleich von Abtreibungen mit der Schoa, dem nationalsozialistischen Völkermord an rund sechs Millionen Juden:Jüdinnen während des zweiten Weltkriegs. „Früher sei die gefährdete Gruppe die der Jüd:innen gewesen, heute seien es die ungeborenen Kinder, sagt die Leiterin des Trainings und begründet dies mit dem sogenannten „Mensch+“–Argument: Genau wie die Menschlichkeit des ungeborenen Kindes nicht ausreicht, um eine schützenswerte Person mit Menschenrechten zu sein, hätten damals Jüd:innen eine Eigenschaft gefehlt, um eine solche Person zu sein, was den Genozid an ihnen in Augen der Nazis gerechtfertigt habe. Der Vergleich der Beendigung einer ungewollten Schwangerschaft mit dem unbeschreiblichen Leid von Millionen von Menschen – einem der schrecklichsten Verbrechen an der Menschheit – ist respektlos und verharmlosend“, lautet das Urteil zur Recherche im „Lautschrift“-Artikel.
Auch beim Thema Feminismus vertreten die AbtreibungsgegnerInnen von „ProLife“ eine relativ einfache Argumentation: Die Freiheit der Schwangeren, über ihren eigenen Körper zu entscheiden, höre da auf, wo die Freiheit des Kindes anfange. Auf das Argument, dass ein Verbot von Abtreibungen nicht zu einem Ausbleiben letzterer, sondern lediglich zu unsicheren Abtreibungen führen würde hieß es, Abtreibungen seien nie sicher, denn es sterbe immer ein Mensch – und genau das gelte es zu verhindern. „Dabei ist belegt, dass unsichere Abtreibungen einer der fünf häufigsten Gründe für Müttersterblichkeit weltweit sind.“, korrigiert die „Lautschrift“-Journalistin. Doch in den „ProLife“-Seminaren werden diese und ähnliche Lehrinhalte ungefiltert weitergegeben und zur Verbreitung selbiger bzw. der „ProLife“-Ideologie aufgerufen.
Personell besteht „ProLife Regensburg“ aus lediglich einer Handvoll AktivistInnen. Vorsitzende und Teil der aus drei Personen bestehenden Leitung der Hochschulgruppe ist die Regensburger Studentin Clara Ott. Ott beschwert sich in Artikeln schon mal darüber, dass „An den Universitäten […] Versammlungen erlaubt [werden], welche durch ihr „Recht auf Selbstbestimmung“ Menschen töten und das Prinzip „Familie“ ächten. Es werden solche gehört, die durch ihren Gender-Wahn jegliche objektiven Wahrheiten leugnen und so schlichtweg die Natur des Menschen zerstören.“ (S. 11). Auch ansonsten scheint sie an klassischen Geschlechterrollenbildern fest zu halten.

Zweite im Bund der Hochschulgruppenleitung ist Claras zwei Jahre ältere Schwester Martha Ott. Ergänzt wird das Trio durch die, gerade in jüngerer Zeit immer präsenter bei den Aktionen der „Prolife“-Gruppe auftretende, Magdalena Navratil. Navratil studiert an der Hochschule für katholische Kirchenmusik & Musikpädagogik Regensburg und ist, ebenso wie die beiden Ott-Schwestern, nicht nur bei ProLife sondern auch in der Katholischen Jugendbewegung (KJB, nicht zu verwechseln mit der weitaus bekannteren Katholischen Landjugendbewegung KLJB), der Jugendorganisation der rechtskatholischen Piusbruderschaft, aktiv. Doch die gemeinsame Historie der drei christlich-fundamentalistischen „Lebensschutz“-Aktivistinnen ist schon wesentlich älter als ihr Engagement in Regensburg.
Sowohl Clara Ott als auch Magdalena Navratil besuchten das St.-Theresien-Gymnasium Schöneberg und legten dort ihr Abitur ab. Das private Mädchengymnasium mit angeschlossenem Internat in einem Klosteranwesen in Ruppichteroth nähe Bonn, wurde 1991 von der rechtsklerikalen Piusbruderschaft gegründete und wird auch heute noch von Pius-Oblatinnen mitgeleitet. „Schönenberg ist das einzige Mädchengymnasium traditionell-katholischer Weltanschauung im deutschsprachigen Raum“, wirbt das Internat auf der Schulwebsite um Töchter aus Familien, „die dem traditionell-katholischen Glauben verbunden sind und die sich für ihre Kinder eine christliche, werteorientierte schulische Bildung und Erziehung wünschen.“ Insofern werde dem religiösen Leben an der Schule eine hohe Bedeutung beigemessen. Das Gebet zum Heiligen Geist vor Beginn der ersten Unterrichtsstunde sei eine Selbstverständlichkeit, ebenso wie die Pflege des Rosenkranzgebetes, eucharistischer Andachten, des kirchlichen Abendgebets (die Komplet) und die heilige Messe sowie das gemeinsame Beten in der Kirche. Bilder zeigen die Schülerinnen in adretten Uniformen, beim Musizieren oder am traditionellen „Thementag Deutschland“ inklusive gemeinsam gesungener Nationalhymne vor gehisster Deutschland-Flagge.


Weitere Verbindungen finden sich bei einem Blick in die Familie Ott. Zusammen mit ihren beiden jüngeren Schwestern Martha und Clara beteiligte sich auch Elisabeth Heggemann (ehem. Ott) in Greifswald, dem früheren Heimatort der Familie, an regionalen Musikwettbewerben, bevor sie anschließend ein Studium an der Hochschule für katholische Kirchenmusik und Musikpädagogik (HfKM) in Regensburg begann. Dort ist inzwischen auch Magdalena Navratil eingeschrieben und seit neuestem in der HfKM-Studierendenvertretung engagiert.

Die Verzahnung von rechtsklerikalen, christlich-fundamentalistischen Haltungen und einem vermeintlichen Konservatismus, der dem Nationalismus der extremen Rechten in kaum etwas nachsteht, zeigt sich am Haus Ott beispielhaft. Denn die religiöse Erziehung sowie das traditionelle, antifeministische Geschlechterrollenbild und dessen Praxis im Familienleben, wurden den Ott Geschwistern bereits in die Wiege gelegt.
Vater der drei Schwestern Elisabeth, Martha und Clara Ott und zweier weiterer Ott-Kinder ist Dr. Sascha Ott. Der Jurist und CDU-Politiker ist seit 2023 als Präsident des Landgerichtes Neubrandenburg tätig. Zuvor wurde der ehemalige Regionalvertreter der WerteUnion in Mecklenburg-Vorpommern (MV) und Chef des „Konservativen Kreis“ der Landes-CDU bereits als künftiger Justizminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern gehandelt (2016). Wären ihm da nicht der Finger auf der Maus ausgerutscht, was zu einem Like der Facebook Seite des AfD-Regional-Verbandes Nordwestmecklenburg führte und ihm schließlich den Vorwurf der Nähe zur AfD ein- und ihn so um den bereits zugesicherten Ministerposten brachte. Bis heute ist Vater Ott auf Facebook mit zahlreichen Vertretern der extremen bzw. sog. „Neuen Rechten“ befreundet. Ein Lerneffekt blieb offenbar aus. 2019 liebäugelte er öffentlich Richtung Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene und glänzte auf Facebook mit Aussagen wie, das dritte Geschlecht sei „Irrglaube“ und „Witz“. In einer Sitzung des Kreistages von Vorpommern-Greifswald bezeichnete er am 2. März 2020 LGBTI als „mikroskopische Randgruppe“. Statt diese „aufzuwerten, bis sie mit der Mehrheitsgesellschaft auf einer Linie laufen“, solle die Politik Respekt gegenüber Menschen zeigen, die „fleißig arbeiten“ und „Kinder im Sinne des Staates erziehen“. Später äußerte er sich lobend gegenüber den teils rechtsextremen und verschwörungsideologisch durchsetzten „Coronaprotesten“, denen er als „Mitte der Gesellschaft“ dankbar sei.
Die relevanten Akteurinnen der „Prolife“-Gruppe Regensburg sind, wie sich zeigt, über ihre rechtsklerikale Schulbildung im Internat der Piusbruderschaft, familiäre Strukturen sowie durch religiöses Engagement in der Jugendorganisation der Piusbruderschaft, der KJB personell eng verbunden – aber was hat es damit überhaupt auf sich?
2. Die rechtsklerikale Piusbruderschaft St. Pius X in Zaitzkofen und ihre Jugendorganisation „KJB“
Die Priesterbruderschaft St. Pius X. (Kurz: Piusbruderschaft oder Piusbrüder) ist eine Priestervereinigung katholischer Traditionalisten. Sie wurde 1970 von Erzbischof Marcel Lefebvre gegründet, um sich vor allem der Ausbildung römisch-katholischer Priester zu widmen. Die Priesterbruderschaft betrachtet sich als Bestandteil der römisch-katholischen Kirche, lehnt aber das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) und insbesondere dessen Lehren über die Ökumene, Religionsfreiheit, die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen als „zu modernistisch“ ab. Seit 1975 hat die Piusbruderschaft keinen kanonischen Status in der römisch-katholischen Kirche mehr und unterhält ihre Einrichtungen folglich ohne Erlaubnis und Kontrolle kirchlicher Behörden. Seit 1978 betreibt die Priesterbruderschaft St. Pius X ein Priesterseminar im Schloss Zaitzkofen, etwa 30 km von Regensburg entfernt. Dort bilden die Piusbrüder derzeit ca. 30 Priesteramtskandidaten aus verschiedenen Ländern aus. Seit der Eröffnung des Priesterseminars fanden in Zaitzkofen über 100 – von der römisch-katholischen Kirche nicht anerkannte – Priesterweihen statt. Bilder der Messen im Stil der Piusbruderschaft vermitteln einen guten Eindruck davon, welchen Stellenwert Keuschheit, Reinheit, Leidensfähigkeit aber auch Demut, Gehorsam und Unterwerfung in der Gemeinschaft haben. Ein irgendwie geartetes Abweichen vom Protokoll oder den zugeteilten Rollen und Hierarchien scheint undenkbar.


In der Vergangenheit traten Priester und Anhänger der Bruderschaft mit antijüdischen bzw. antisemitischen Äußerungen öffentlich in Erscheinung. Besonders ein im Januar 2009 aus Zaitzkofen ausgestrahltes Fernsehinterview des mittlerweile ausgeschlossenen Bischofs und Holocaustleugners Richard Williamson sorgte für einen Skandal. In den Jahren 2012 und 2017 machte das Zaitzkofener Priesterseminar außerdem Schlagzeilen, weil dort erzkonservative Studenten zu Exorzisten geweiht wurden.
Ein prominenter Vertreter der derzeitigen Priesterschüler in Ausbildung dürfte Nils Grunemann sein. Grunemann war zuvor Mitglied einer Marburger Naziburschenschaft und um 2013 öffentliches Gesicht der „Identitären Bewegung“ (IB) in Deutschland. Getarnt als Islamkritik schrieb der fundamentalistische Christ schon damals in den „Burschenschaftlichen Blättern“ rassistische Hetzartikel über die „Gefahr aus dem Osten“. 2017 wurde er stellvertretender Sprecher des Kreisverbandes der Jungen Alternative (JA) in Marburg-Biedenkopf. Nach seinem Bachelor-Studium zog es ihn um 2019 von Marburg zur Piusbruderschaft nach Zaitzkofen, wo er eine Ausbildung zum Priester in der Bruderschaft St. Pius X. begann. Mittlerweile ist Grunemann auch Dozent beim IB-Projekt „GegenUni“, einer nicht-akkreditierten Online-Universität, an der extrem rechte Kader ausgebildet werden sollen.



Die Jugendorganisation der Piusbruderschaft ist die „Katholische Jugendbewegung“ (KJB e.V.). Dort organisiert sind auch die Regensburger „ProLife“-Aktivistinnen: Clara und Martha Ott und Magdalena Navratil. Auf Bildern zeigen sie sich bestens in die Strukturen der Piusbruderschafts-Jugend eingebunden und seit 2021 regelmäßig bei diversen Seminarwochenenden und Gruppenleitertreffen engagiert – inklusive Fackelmarsch.



Magdalena Navratil posiert jedoch nicht nur als Model im KJB-eigenen Shop, in dem es neben Shirts auch Gebetsbücher und hauseigenes Propagandamaterial zu erwerben gibt. Sie beteiligt sich an Ausflügen und Wochenendakademien und ihre Teilnahme am „KJB-Gruppenleitertreffen“ Anfang dieses Jahres legt nahe, dass Navratil als Gruppenleiterin der KJB Zaitzkofen aktiv ist.


Erst im März 2025 nahmen Ott und Navratil, deren Repertoire an langen geblümten Röcken und Blusen unerschöpflich scheint, erneut an einem KJB-Wochenende in Zaitzkofen teil. Ob sie Grunemann dort persönlich trafen und der Austausch zwischen den männlichen Priesterseminarteilnehmern und den jungen Frauen der KJB überhaupt erlaubt ist, bleibt offen – beim „Osterkerzenbasteln“ mit den Gesinnungsgenossen scheinen sich die „ProLife“-Aktivistinnen jedenfalls wohlzufühlen.
Eine nächste Gelegenheit sich zu vernetzen ergibt sich schon bald. Vom 30. Mai bis 1. Juni findet das Regionaltreffen der KJB Bayern in Abensberg statt. Die recht ominöse Ankündigung für „eine spannende Nachmittagsaktion in der wunderschönen Stadt Regensburg“ bietet reichlich Spielraum für Spekulationen.


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