Recherche zu den verschwörungsideologischen Versammlungen: Teil II

In unserem Teil I über die verschwörungsideologischen Versammlungen warfen wir einen Blick auf Inhalte und Strukturen der Proteste gegen die sogenannte „Corona-Diktatur“ in Regensburg in ihrer Anfangsphase. Vor allem aufgrund der Heterogenität der beteiligten Personen war in den ersten Wochen schwer ersichtlich, wie sich die Struktur zusammensetzt und welche Personen eine tragende Rolle bei den Protesten einnehmen. Mittlerweile konsolidiert sich der daraus erwachsene Zusammenschluss „denkMal“ weiter, weshalb wir auch deren Strukturen genauer unter die Lupe genommen haben.

Strukturelle Änderungen…

Nach Ines Graßl (Lappersdorf), die bei den ersten beiden unangemeldeten Spaziergängen als maßgebliche Akteurin in Erscheinung trat, übernahm ab dem 9. Mai Holger Gerstl-Dos Santos (Regensburg) über drei Wochen hinweg die Anmeldungen und leitete auch die Kundgebungen. Aufgrund interner Unstimmigkeiten über das weitere Vorgehen und die grundsätzliche Ausrichtung der Proteste kam es Ende Mai jedoch zum Bruch zwischen Gerstl-Dos Santos und den übrigen Veranstalter:innen. Seitdem ist Gerstl-Dos Santos nur noch stiller Teilnehmer der Kundgebungen am Domplatz. Zudem veranstaltet er immer wieder eigene, spärlich besuchte „Events“ (u.a. auf dem Dultplatz, dem Grieser Spitz und vor dem Haus der Bayerischen Geschichte), an denen auch regelmäßig Domplatz-Teilnehmer:innen partizipieren.

Bereits seit dem dritten Protestwochenende am 9. Mai finden sich regelmäßig zwischen 7 und 20 Personen als angemeldete Kundgebung auf der Steinernen Brücke ein. Als Verantwortliche scheint hier eine laut eigener Aussage praktizierende Ärztin (sie sei zudem Juristin) zu agieren. Annette Greisinger (Regenstauf) ist von Beginn an bei den Protesten dabei und tritt als klare Impfgegnerin auf, die in Bill Gates einen geheimen Strippenzieher sieht. Auf den Brücken-Kundgebungen, die stets als Vortreffen für die Kundgebungen am Domplatz fungieren, nahmen bislang großteils die selben Personen Teil. Auf Schildern wurden Corona-Maßnahmen bereits als „Euthanasie“ und „Bevölkerungsreduktionsmaßnahmen“ bezeichnet. Regelmäßig wird auch vor einem angeblich drohenden Impfzwang gewarnt. Das Thema ist auch eine tragende Säule bei den Kundgebungen am Domplatz.

 

… und die Formierung von „denkMal“

Nachdem Gerstl-Dos Santos am 16. Mai zum letzten Mal eine größere Kundgebung organisierte, traten in der Folge Andreas Sünder (Regensburg) und Christian Jecht (Bad Abbach, Lkr. Regensburg) als Akteure in Erscheinung. Sünder kann als klassischer Verschwörungsideologe bezeichnet werden. Auch Jecht verbreitet Verschwörungsmythen, bezieht sich zusätzlich aber immer wieder auf seine ehemalige Tätigkeit als Soldat, um seinen vermeintlichen Einsatz für die Grundrechte mit seinem früher geleisteten Eid zu rechtfertigen. Heute betreibt Jecht das Nachhilfeinstitut pauk-welt in Regensburg. Beide nahmen bereits zuvor an Kundgebungen teil, wodurch sie laut eigener Aussage in Kontakt kamen. Tatsächlich scheinen die Demonstrationen gerade zu Beginn ein wichtiges Vernetzungstreffen gewesen zu sein. Da viele Personen zuvor politisch nicht in Erscheinung getreten sind, kann vermutet werden, dass die Versammlungen und auch die zugehörigen Telegram-Channels ein wichtiges Medium zur weiteren Politisierung waren. Die „neuen“ Kontakte können somit als wichtige Selbstbestätigung bewertet werden, die die eigene Wahrheit zusätzlich legitimierte.

Am 23. Mai fungierte Sünder zum ersten Mal als neuer Anmelder der Kundgebungen am Dom. Jecht, der bereits am 16. Mai eine Rede hielt, und Sünder traten in der Folge mehrfach als Redner auf. Beide versuchten den Kundgebungen eine professionellere Außenwirkung zu verleihen. Das wurde im weiteren Verlauf auch durch einen Pavillion und ein Banner mit einem eigenen Logo der Struktur „denkMal.“ verstetigt.

Das Logo von „denkMal“

Mit Fortschreiten der Versammlung verfestigte sich auch die Struktur. Neben Jecht und Sünder traten allmählich weitere Personen vor Ort aktiv als Ordner:innen, als Organisierende oder als Redner:innen auf. So sprachen mittlerweile Sarah Dobler, ihr Vater Adolf „Adi“ Dobler (Redakteur im Donaustrudl), Luca Amann (der jüngste Beteiligte, der die strukturell antisemitischen Soros-Verschwörung verbreitete, mehr hier), Lucy Frank (Lehrerin am Music College, die die Kundgebung regelmäßig musikalisch begleitet), Clarissa Schubart (die auf ihrem Telegrammkanal extrem rechte Inhalte verbreitet, mehr hier) und Sophie Ferstl (deren extrem rechte Aktivitäten auf Twitter wir hier aufgedeckt haben) am Domplatz. Weitere beteiligte Personen sind Rebekka Bemmerl und Sandra Eckert. Sarah Dobler und Amann beteiligen sich von Beginn an an den Protesten, fungierten schon mehrfach als Ordner:innen und beteiligten sich an der Busfahrt nach Berlin zur Demonstration am 01.08.

Frank und Schubart traten zunächst lediglich bei den Meditationsdemonstrationen auf dem Caravan-Denkmal am Neupfarrplatz in Erscheinung. Nachdem Schubart sich aus deren Organsiation zurückgezogen hatte, nahmen auch die Meditationen ein Ende. Mittlerweile ist Schubart fester Teil von „denkMal.“.

Nachem Ines Graßl bereits nach der zweiten Versammlung scheinbar nicht mehr auftrat, ist auch sie seit einigen Wochen wieder am Domplatz zugegen und als Mitorganisatorin auszumachen. Sie tritt nicht aktiv in Erscheinung. Allerdings hat sie laut Aussage eines Gastredners aus Roding am 11. Juli die Vernetzung zwischen verschiedenen Ortsgruppen aktiv vorangetrieben. Graßl ist bereits seit mehreren Jahren im Impfgegner:innenmileu aktiv und dürfte eine der politisch erfahrensten Personen der Regensburger Proteste sein.

Inhaltliche Positionierung

Inhaltlich bleiben die Kernthemen die Verharmlosung des Coronavirus, das Verbreiten von (auch strukturell antisemitischen) Verschwörungsmythen, die Relativierung des Nationalsozialismus und völkisch-nationalistische und biologistisch-rassistische Narrative. Diese Inhalte werden häufig über eine esoterische (Lucy Frank) oder christlich-religiöse (Roland Weikl) Grunderzählung vermittelt, bemühen sich manchmal aber auch um ein vermeintlich rationales Bild (Christian Jecht). Diese unterschiedlichen Weltbilder haben bereits zu Irritationen geführt, als in zwei Fällen inhaltliche Texte zunächst veröffentlicht, innerhalb weniger Minuten gelöscht und in zum Teil deutlich abgeänderter Form wieder online gestellt wurden (eine genauere Analyse veröffentlichten wir hier). Dass diese Widersprüche bislang nicht zum Bruch innerhalb der Struktur geführt haben, kann u.a. auf zwei Punkte zurück geführt werden.

So nehmen Begriffe wie „Liebe“, „Freiheit“ und „Wahrheit“ zwar eine sehr wichtige Rolle in den Reden, den veröffentlichten Texten und auch auf Schildern ein. Gleichzeitig scheint eine inhaltliche Auseinandersetzung über deren unterschiedliche Interpretationen nicht stattzufinden. Somit kann eine esoterische Auffassung von Freiheit sehr wohl mit einem eher rationalen Verständnis des Begriffs kooperieren. Dass diese Koexistenz dauerhaft Probleme aufwerfen wird., bezeugen die bereits erwähnten Abänderungen inhaltlicher Dokumente.

Als grundsätzlich einendes Band fungieren die diversen Verschwörungsmythen, die auf dem Domplatz und insbesondere in den Chatgruppen weiterhin rege Verbreitung finden. Für die einen ist es eine drohende kommunistische Diktatur (Sünder), für andere die Weltelite von George Soros (Amann) und Konsorten oder eben Bill Gates und dessen Pharmaimperium. Die Personen(-Gruppen) sind austauschbar. Doch am Ende sind sie sich einig, dass die Medien gesteuert und die Politik mit irgendwelchen sinistren Mächten unter einer Decke stecken. Der gemeinsame Feind eint im Kampf. Der Widerstand gegen die als bewusste Unterdrückung empfundenen Zustände sind das einende Band der Protestteilnehmer:innen.

Schoa-Relativierungen und NS-Vergleiche

Aus diesem Zwang zum Widerstand werden folglich permanent relativierende Vergleiche mit der DDR und insbesondere dem Nationalsozialismus gezogen. Die Kombination aus Verschwörungsideologie und deutschem Nationalismus führt hier immer wieder zu der (paradoxen) Situation, dass Antisemit:innen ihre eigene Position mit der von Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus gleichsetzen. Es folgt eine Zitatesammlung:

 

Foto: regensburg-digital

„Nicht Corona-geimpft“

– Aufschrift eines sogenannten Judensterns an der Kleidung eines Ordners auf der Kundgebung von denkMal am 16.05.2020

„Diese einseitige, monopole Berieselung in Öffentlich-Rechtlichen erinnert mich fatal an Deutschlands finsterste Zeiten, an den Stürmer, an die Judenhetze bei Tag und Nacht.“

– Adolf „Adi“ Dobler auf der Kundgebung von denkMal am 13.06.2020

„Wenn ich mir das vorstelle, mit dem angeblich kommenden Immunitätsausweis (…) dann sind wir bald so weit wie 1933, wo kleine Gruppen, die anders dachten oder eine andere Religion hatten, ausgegrenzt wurden.“

– Marion Schneider auf der Kundgebung von denkMal am 27.06.2020

„Im Jahr 1933-1945 war Adolf Hitler mit seinen Schergen für das Massendenken (??) verantwortlich. Geprägt nach Rache für den verlorenen ersten Weltkrieg und der Gier nach Macht hat er 60 Millionen Menschen in Ghetto getrieben.“

– Stefan auf der Kundgebung von denkMal am 27.06.2020

„Hätte sein [Stauffenbergs] Attentat 1944 Erfolg gehabt, hätte er vielleicht 30 Millionen Menschen das Leben retten können. (…) Es wird immer Leute wie uns geben, die den Mut haben, auf ihr Herz zu hören und heute stehen wir hier und entlarven ihre Lügen und wir haben den Mut, die Wahrheit anzuschauen.“

– Stefan auf der Kundgebung von denkMal am 27.06.2020

„Ich hab keinen Geschichte Leistungskurs gehabt, aber ich kann mich dran erinnern, so ein Symbol [zur Kennzeichnung negativ auf Corona getesteter Schüler_innen] gab es bereits.“

– Daniela Folkinger auf der Kundgebung von denkMal am 11.07.2020

„Wir haben uns doch vorgenommen, dass die Zustände, die wir 1930-45 hier hatten, nie mehr Realität werden sollen. Aber wir sind genau dabei! (Applaus) Und liebe Frau Merkel, da hilft die Millionste Kranzniederlegung an irgendeinem Denkmal überhaupt nichts, wenn Sie uns genau wieder in diese Strukturen führen.“

– Daniela Folkinger auf der Kundgebung von denkMal am 11.07.2020

Ausblick

Abschließend lässt sich festhalten, dass die Regensburger Proteste bereits seit längerem von einem festen Personenkreis organisiert werden, dem weitere Personen zuzurechnen sind, die u.a. als Ordner:innen auftreten. Während ab Mitte Mai zunächst Sünder und Jecht die Proteste dominierten, trauen sich mittlerweile weitere Personen, aktiv in Erscheinung zu treten und im Namen von „denkMal.“ zu sprechen. Mit Fortschreiten der Proteste ist zudem eine deutliche Radikalisierung festzustellen. Dies lässt sich besonders gut an den Reden von Andreas Sünder, aber auch an Clarissa Schubart feststellen. Während Sünder immer deutlicher nationalistische und antikommunistsche Aussagen tätigt, fordert Schubart alle Mitmenschen auf, doch endlich „aufzuwachen“ und die „Wahrheit“ zu erkennen.

Die Teilnahmezahlen sind im Vergleich zur Anfangsphase der Proteste stark gesunken. Aktuell scheint es denkMal zu gelingen, den Protest durch einen stärkeren Fokus auf ostbayerische Vernetzung (wochenweise Unterstützung der Kundgebungen in anderen Städten, nur monatliche Mobilisierung in Regensburg) sowie gemeinsame Fahrten zu „Großkundgebungen“ in Berlin über den Sommer zu retten. Ob der Zusammenschluss von einem erwarteten Anstieg der Infektionszahlen im Herbst profitieren wird, bleibt abzuwarten.