Heißester Herbst aller Zeiten oder doch nur kühle rechte Brise? – AfD Protest im Herbst 2022

Die AfD freut sich: Seit mittlerweile fünf Wochen verzeichnen ihre Kundgebungen im Landkreis Regensburg so viele Teilnehmende wie lange nicht. In Regenstauf und Neutraubling ruft AfD-Kreisverbandsvorsitzender Dieter Arnold zu Montags-Protestmärschen auf, und ihm folgen je zwischen 50 und 180 Personen. Was Beobachter*innen lange erwartet haben, ist mittlerweile geschehen: Die AfD ist nicht mehr nur Mitläuferin, sondern führende Kraft der Krisenproteste im Landkreis. Dabei setzt Arnold auf ein Rezept aus Schwandorf. Doch so richtig zündet der „heiße Herbst“ nicht. Kontinuierlicher antifaschistischer Protest lässt die Teilnahmezahlen schrumpfen.

Vorläufer: Die verschwörungsideologischen „Montagsspaziergänge“

Sogenannte „Montagsspaziergänge“ gibt es fast so lange wie die Pandemie, in Regensburg ziehen seit 2020 durchgehend Verschwörungsideolog*innen, Rechte und Unbelehrbare durch die Altstadt. Zum Jahresbeginn 2022 waren es teilweise über 800 Personen, dann sank die Zahl langsam aber kontinuierlich, unterschritt im Mai erstmals die Hundertermarke und dümpelte den Sommer über zwischen fünf und 15. In manchen Städten und Gemeinden im Landkreis gab es bis dahin ebenfalls wöchentliche unangemeldeten Demonstrationen, wenn auch in weitaus kleinerem Maßstab. In Regenstauf beispielsweise, lagen die Höchstzahlen zu Jahresbeginn bei 70-90, in Neutraubling zunächst bei etwa 100 und pendelten sich dann auf 20-30 ein. Dort leierte hauptsächlich der Hypnotiseur Xaver Schütz die wöchentlichen Aktionen an. In Regenstauf war treibende Kraft Peter Riembauer vom Geschäft „Terrassenüberdachung und Markisen Center Regenstauf“.

In dieser Phase der verschwörungsideologischen Bewegung waren bekannte Gesichter der AfD selbstverständlicher Teil der „Spaziergänge“ und Versammlungen. Sie machten beispielsweise Werbung für diese, diskutierten in Telegramgruppen mit und übernahmen teilweise organisatorische Aufgaben. Dabei traten sie allerdings nicht erkennbar als AfD-Mitglieder auf, trugen keine Parteifahnen oder und versuchten nicht, die Spaziergänge als AfD-Veranstaltung zu framen. In Regensburg Stadt und Landkreis liefen regelmäßig alte und neue Vorstände mit darunter: Dieter Arnold, Peter Timmel, Georg Bäumel, Rudi Bittner, Norbert Jörss, etc.

Der Regensburger AfD war es bis in den Sommer 2022 bis dahin aber nicht gelungen, die Themen Krise und Corona in Regensburg nachhaltig zu besetzen. Aufrufe einzelner Vorstandsmitglieder wie der Nikolai Sitschows zum Generalstreik am 01. Dezember 2021 endeten im Chaos, die Stadträte Thomas Straub und stellvertretender Kreisverbandsvorsitzender Erhard Brucker ließen sich gar nicht erst bei den Spaziergängen blicken.

Regenstauf und Neutraubling stehen auf“ – Arnold im Landtags-Vorwahlkampf

Am 26. September rief Dieter Arnold erstmals zur Demonstration auf dem Neutraublinger Marktplatz. Mit dem Motto „Neutraubling steht auf“ sowie dem gewählten Tag knüpft er direkt an die „Montagsspaziergänge“ an. Seither organisiert er die Proteste abwechselnd in Neutraubling und Regenstauf. Zu diesen Terminen kamen erst 180, dann zwei mal 120 und die letzten beiden Male etwa 50 Personen. Auch wenn die Teilnehmendenzahlen, bedingt durch kontinuierlichen antifaschistischen Protest, abnehmen, hatte das bisherige Mobilisierungspotential der AfD bei Versammlungen vor dem Herbst 2022 zwischen zehn und 40 Fans gelegen.

Anmelder der Veranstaltungen ist in der Regel der in Hainsacker lebende Dieter Arnold, Betreiber von „Arnold Sicherheitsdienst“ und aktueller Kreisverbandsvorsitzender der Regensburger AfD. Diesen Posten hatte er bereits von 2017 bis 2018 inne. Während dieser ersten Vorstandszeit hatte die AfD vor allem gegen einen Moscheebau im Regensburger Stadtosten agitiert und den Faschisten Benjamin Nolte zum AfD-Direktkandidaten gewählt (Mehr zu Arnold und der AfD 2018 hier: https://anitaf.net/2021/08/12/die-regensburger-afd-kreisverband-im-dauertief/).

Auch Arnold war schon mehrmals, immer erfolglos, als Direktkandidat bei Wahlen angetreten. Die häufigen Kundgebungen mit Arnold permanent im Vordergrund lassen vermuten, dass er auch 2023 zur bayerischen Landtagswahl antreten will. Hierfür braucht er einen der aussichtsreichen Listenplätze der Oberpfälzer AfD, die in der Vergangenheit stark umkämpft waren. Arnolds Inszenierung als Protest-Führer vor seinen ParteikameradInnen könnte dabei helfen.

Exportschlager Schwandorf – Ein AfD-Protest, der keiner sein will

Häufigster Gast bei Arnolds Kundgebungen ist der Schwandorfer AfD-Vorsitzende Reinhard Mixl. Für die extrem rechte Partei sitzt er dort im Stadtrat, in enger Zusammenarbeit mit dem Faschisten Thomas Richard Deutscher (https://anitaf.net/?s=Thomas+Deutscher). Mixls Weltbild zeigt sich immer wieder in seinen antisemitischen, rassistischen, antifeministischen, queerfeindlichen, nationalistischen und geschichtsrevisionistischen Postings und Aussagen. Zum Beispiel spricht er von einer „gewünschten europäischen Umvolkung und Auslöschung der indigenen Völker“, vergleicht die Corona-Impfung mit Konzentrationslagern und teilt auf Telegram Inhalte von Holocaustleugnungs-Kanälen und Neonazis wie Attila Hildman.

Arnold und Mixl verbindet eine jahrelange Zusammenarbeit, seit 2020 organisieren beide die Corona-Kundgebungen in Schwandorf. Dort ist es der AfD im Gegensatz zu Regensburg schon früher gelungen, sich an die Spitze der Corona-Proteste zu setzen – allerdings ohne das Label AfD explizit zu nennen, denn Mixl, Arnold, Klaus Schuhmacher und Co., treten immer als „Privatpersonen“ und „besorgte Bürger“ auf. In der Höchstphase im 1. Quartal 2022 waren auf den Kundgebungen dort rund 1.400 Teilnehmende auszumachen, darunter Neonazis wie etwa Patrick Schröder. Neben Regensburger Akteuren wie Florian Kuttner und Martin Breu von „Gemeinsam in Regensburg“ trat auch Arnold öfters als Redner auf. Hierbei heizt er die Stimmung mit seinen aggressiv geführten Redebeiträgen an: Er bemüht rechte Widerstandsthethorik oder droht, Politik_innen die Hände abzuhacken. Jetzt versucht Arnold offensichtlich, Mixls Erfolgsrezept für den Landkreis Regensburg zu kopieren.

Auch wenn es absurd scheint: Arnold behauptet dabei immer wieder, es handle sich in Regenstauf und Neutraubling um keine AfD-Veranstaltungen. Dabei stellt die Partei Anmelder, Stellvertreter (Georg Bäumel, ebenfalls Mitglied im AfD-Kreisvorstand), Ordner (wie Nikolai Sitschow oder Rudi Bittner), den Großteil der Redner, die Infrastruktur und die Werbekanäle. Redner ohne Parteifunktion sind die Ausnahme. Die Sorge, den ein oder anderen „Bürger“ durch das Label AfD zu verlieren, scheint Arnold dennoch umzutreiben. Gleichzeitig will er sich als „Kümmerer“ etablieren, sich nahbar und letztendlich auch wählbar machen – eine Taktik, die schon die NPD und andere extrem rechte Parteien genutzt haben. Ähnlich wie bei den Schwandorfer Kundgebungen zeigt Arnold aber keinerlei Abgrenzungsbedürfnisse zu anderen extrem rechten Strömungen, so lief in der Vergangenheit ein Teilnehmer mit einer Fahne der Vereinigung „Freien Sachsen“ auf den Versammlungen mit.

Klimawandel, Ukraine-Krieg, Corona, Energie – alles eine Soros-Lüge

Die verschwörungsideologische Szene im allgemeinen und die Struktur „Gemeinsam in Regensburg“ rund um Florian Kuttner und Martin Breu versuchen gerade Themen Corona und Impfung mit den Themenkomplexen Ukraine-Krieg und Energiekrise zu verbinden, um wieder vermehrt Teilnehmende zu ihren Versammlungen zu mobilisieren. Dies scheint erstmal nicht zu funktionieren, stagniert die Zahl bei den einmal im Monat in Regensburg stattfindenden Versammlungen doch bei ca. 300 Personen. Knapp die Hälfte von ihnen reist vermutlich aus anderen Städten an.

Auch Arnold versucht bei seinen Kundgebungen viele unterschiedliche Themen zu verbinden. Im Vordergrund steht bei ihm ein rechter Sozialprotest mit dem Motto: „Runter von der Couch und gemeinsam auf die Straße: gegen irrsinnige Energiepreise, Geld für Bürger anstatt Waffen, Steuern runter Renten rauf“. Die rechte Ausrichtung dieses Versuchs eines AfD-Sozialprotests ist überdeutlich. Statt individuelles Leid als Folgen von Armut und sozialer Ungerechtigkeit anzuprangern, stellt Arnold in nationalistischer Manier den vermeintlich gefährdeten Wirtschaftsstandort Deutschland in den Mittelpunkt. Die eigenen kapitalistischen Interessen und die kleinbürgerliche vermeintliche Freiheit steht für die rechten Redner über Leid und Tod von Millionen Menschen. Anstelle einer politischen Analyse dominieren Verschwörungsdenken, antisemitisch aufgeladene Schuldzuweisungen und Umsturzrethorik.

So warnte beispielsweise am 29. September Wolfgang Pöschl, AfD-Bezirksrat aus Cham, in seiner verschwörungsideologischen Rede vor den „globalisierten Superreichen, der globalistischen Eliten, wie Klaus Schwab, Georg Soros, Bill Gates, Prince Charles“ in deren Taschen das Geld des Publikums fließen würde. Diese würden sich „in einer unheiligen Allianz mit machtgierigen Neomarxisten“ eine „globale totalitäre Herrschaft sichern“, um uns „eine neue totalitäre Weltordnung aufzwingen, um uns zu unterwerfen und zu knechten“. Vor den 120 Teilnehmenden rief er: „Erst Corona, jetzt der Ukraine-Konflikt, dann die Energie-Krise, das Klima, wir lassen uns von den Lügen dieser Gauner nicht mehr irreführen! Zum Teufel mit ihnen!“

Solche Töne sind auch bei Arnold Standard. Bei einer ersten, damals noch gefloppten, Kundgebung in Neutraubling im März 2021 hetzte er, es sei „an der Zeit, den korrupten Politparasiten die Stirn zu bieten“. Kürzlich sagte er im selben Ton: „Warum wir da stehen: Der einzige Weg ist, denen Banditen da oben zu zeigen, dass jetzt endlich mal Schluss ist mit dem Blödsinn!“

Energetisch aufgeladen – AfD und Verschwörungsmilieu vereint

Auf den Kundgebungen wird eine Fusion aus „klassischem“ AfD-Aufmarsch und Klientel und dem verschwörungsideologischem Corona-Protest erkennbar. Dies schlägt sich inhaltlich wie personell nieder.

Eingebunden aus dem Corona-Protest-Milieu ist beispielsweise Martin Breu, der im vergangenen halben Jahr die Versammlungen von „Gemeinsam in Regensburg“ leitete und bei Arnold als Ordner auftrat. Auch unter den Teilnehmenden sind Personen aus der verschwörungsideologischen Szene auszumachen, darunter Gisela Schreiber und Ineß Graßl (beide aus Lappersdorf), die von Anfang an treibende Kraft der Regensburger/ Lappersdorfer Spaziergänge waren.

Als Redner trat auch Xaver Schütz auf, Mitorganisator der Spaziergänge in Neutraubling und Teil der Neutraublinger Marketing Organisation „neu.traubling.de“. In seiner Rede am 10. Oktober sprach er sich dort – ekelhafterweise mit Bezug auf das Neutraublinger Außenlager des KZ-Flossenbürg – für „Druschba, Freundschaft mit Russland“ aus. Nach ihm sei – den russisch imperialistischen Angriffskrieg negierend – zufolge das eigentlich Ziel der Mächtigen, „Russland zu Fall zu bringen“ und dann „China anzugreifen“. Den Russland-Ukrainekrieg thematisierte am selben Tag auch der AfDler Mixl in seiner Rede und behauptete, die deutsche Bundesregierung sei „von den Amerikanern gekauft“. In Regenstauf sprach außerdem Peter Riembauer. Wie die meisten RednerInnen arbeitet sich auch Riembauer den Großteil seiner Redezeit am Gegenprotest ab. Am 31. Oktober kommentierte er ein antifaschistisches Transparent mit der Aufschrift „Die AfD ins AKW“, das sei „wie Juden in die Gaskammer“. Dass er in engem persönlichen Austausch mit Dieter Arnold steht, liegt nicht zuletzt daran, dass sein Geschäft „Terrassenüberdachung und Markisen Center Regenstauf“ direkt an das Firmengelände von Arnolds Sicherheitsdienst in der Werner-von-Siemens-Straße grenzt. Ein weiterer Redner der sich am Gegenprotest störte und sichtlich aus dem Konzept gebracht wurde, ist der aus Schwandorf kommende Heilpraktiker der Praxis „Licht und Sonne“ Martin Abel. Auch er ist schon länger Teil der verschwörungsideologischen Szene in Schwandorf.

Unterstützung bekommt Arnold auch von bisher nicht nach außen sichtbaren AfD-Mitgliedern und Sympathisant_innen, etwa von Norbert Huber (Laaber), AfD-Wähler Inhaber der Firma „ NHuber Design Engineering“. Huber hatte vergeblich versucht, in Kallmünz Montagsspaziergänge zu etablieren. Aktuell unterstützt er die AfD vor allem in Strategiedebatten. Eine weitere bis dato noch nicht organisatorisch in Erscheinung getretene Person ist Carina Schießl, die am Universitätsklinikum Regensburg arbeitet. In Regenstauf ist sie mit ihm Leitungsteam, im Oktober war sie Ansprechpartnerin für den AfD-Bus nach Berlin.

Fazit

Der „heiße Herbst“ hat sich für die Regensburger AfD jetzt schon gelohnt, ihre Versammlungen verzeichnen deutlich mehr Teilnehmende als in der Vergangenheit. Einige potentielle Wähler_innenstimmen dürfte Arnold ebenso dazugewonnen haben. Dennoch bleibt das Mobilisierungspotential geringer als erhofft, und dies obwohl Arnold und andere AfDler immer noch den Charakter der Parteiveranstaltung zu verschleiern versuchen. Dass sie diese Narrativ nicht durchsetzen konnten und die Teilnahmezahlen kontinuierlich sinken, liegt wohl vor allem an der Aufklärungsarbeit und dem kontinuierlichen Protest, die bei keiner Versammlung in Regenstauf und Neutraubling fehlt.

Zivilgesellschaftlicher Protest ist auch zwingend notwendig: In den letzten zwei Jahren hat sich gezeigt, dass sich kaum jemand im verschwörungsideologischen Corona-Milieu am Kontakt mit extremen Rechten stört. Die wöchentlichen Kundgebungen der AfD im Landkreis sind die Folge davon. Die bereits etablierten Strukturen der „Montagsspaziergänge“ hat die AfD geschickt für sich genutzt und so neue Mitstreiter_innen gewinnen können. Ob sie aber darüber hinaus auch weitere Teile der Bevölkerung für die Themenkomplexe Krieg, Krise und Inflation ansprechen kann, bleibt abzuwarten – aktuell sieht es nicht danach aus.

Für die antifaschistische Linke gibt es viel zu tun, es bleibt weiterhin notwendig der extremen Rechten ihren Resonanzraum zu nehmen. Darüber hinaus ist es aber auch wichtig, mit zeitgemäßen Kapitalismus-Analysen und fernab eines dichotomen Weltverständnisses antikapitalistische und soziale Forderungen auf die Straße zu tragen, denn der Klassenkampf verschärft sich mit Inflation und Krise.

anita f. // Oktober 2022