Am 3. Mai fand an der Universität Regensburg eine Veranstaltung des Vereins Junges Europa e.V. unter dem Titel „Europa in der Pflicht? Die neue Nahostpolitik der USA“ statt. Bereits im Vorfeld wurde die Besetzung des Podiums kritisiert, denn entgegen den Vorstellungen vom Jungen Europa handelte es sich hier keineswegs um eine Veranstaltung, in welcher alle Positionen ein Gehör finden konnten. Für eine Veranstaltung die alle Facetten aufzeigt, hätte es freilich noch jemanden auf dem Podium gebraucht, der die Sicht der israelischen Regierung einbringt. Stattdessen wurde dem Sprecher der Fatah für europäische Angelegenheiten, Dr. Jamal Nazzal, ein Podium für seine antiisraelische Hetze geboten.
Die Aufhänger des Abends waren das ausbleibende Veto der USA, unter der Obama-Administration, gegen die Siedlungsresolution im UN-Sicherheitsrat, wie das Verhalten der USA unter Trump einzuschätzen ist und was die Aufgaben der Europäischen Union „als internationaler Akteur im Nahen Osten“ sind. Der letzte Aspekt lässt bereits auf eine Fehleinschätzung bezüglich des Israelbildes der Europäischen Union schließen, denn Spanien und Frankreich haben für die Resolution gestimmt. Eine Resolution, die laut Simon-Wiesenthal-Center den ersten Platz im Ranking um die schlimmsten antisemitischen Vorfälle 2016 belegte.¹
Neben Nazzal saßen Volker Beck (MdB für Bündnis 90/ Die Grünen) und Dr. Jan Busse, als Moderator, auf dem Podium. Im Folgenden wollen wir einige Aussagen von Nazzal dokumentieren und widerlegen, was bereits Volker Beck während der Veranstaltung gut gelungen ist, auch wenn wir nicht alle seine Positionen teilen. Nazzal hat sich von Beginn an in die Opferrolle begeben, was er durch sein emotionales Betragen die ganze Veranstaltung hindurch beibehielt. Wer Schuld an allem ist, war für ihn klar, eine Reflexion der Missstände innerhalb der Palästinensischen Autonomiebehörde fand nicht statt. Selbst die Einnahme der Opferposition war von Widersprüchen geprägt. Während er zunächst anprangerte, dass Deutschland und die EU den Palästinenser_innen die Opferrolle nicht zugestehen, widersprach er dieser Aussage, indem er meinte, die Palästinenser_innen würden nicht in der Opferrolle sein wollen. Mit der Aussage „Wir sind die Opfer der Opfer [des Holocaust]“ unterstrich er sein wirres Opfer-/Täterbild noch. Seiner Aussage nach dürfe die Shoa, deren Opfer er bedauere, kein Freifahrtschein für „die Besetzung eines fremden Landes“ sein. Hier zeigte sich in der Diskussion erstmals seine antizionistische Grundposition.
Er fuhr fort zu erklären, dass die Fatah durch die Osloer Friedensverträge 1993, Israel als Staat anerkenne. Jedoch als demokratischen Staat, nicht als jüdischen. Dies untermalte er mit einem aus dem Zusammenhang gerissenen Zitat des ehemaligen US-Außenministers, John Kerry, nachdem ein jüdischer und demokratischer Staat nicht möglich sei. Was Kerry eigentlich meinte war aber, dass Israel im Falle einer Ein-Staat-Lösung seinen jüdischen Charakter aufgeben müsste.² Als Argumente gegen Israel als demokratischen und jüdischen Staat führte er die arabischen Staatsbürger Israels an, welche nach seiner Aussage als Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Außerdem sprach er das angebliche Rückkehrrecht aller Palästinenser an, die seid der Staatsgründung Israels ihre Heimat verließen. Dass in Israel alle Bürgerrechte unabhängig von Herkunft und Glaube gewährleistet werden, durch ein Justizsystem, und der Flüchtlingsstatus kein vererbbarer ist, verschwieg er freilich. Schon für den Gründer der zionistischen Bewegung, Theodor Herzl, stellte ein unbegrenztes Einwanderungsrecht von Jüd_innen nach Israel, als Schutz vor dem antisemitischen Wahn, den Kerngedanken der jüdischen Staatsgründung dar. Diese Grundlage ist für Israel auch heute noch indiskutabel, denn das Phänomen des Antisemitismus stellt immer noch eine Bedrohung für Juden weltweit dar. Die Grundlage einer konstruktiven und realitätsnahen Diskussion ist folglich die Anerkennung Israels als demokratischer und jüdischer Staat. Da die Fatah den jüdischen Charakter des Staates nicht anerkennen will, ist unserer Meinung nach die Grundlage für eine Diskussion mit der Fatah nicht gegeben. Dass die Palästinensische Autonomiebehörde Märtyrerrenten auszahlt, anstatt Terroristen zu verfolgen, zeigt einerseits, dass die Rechtsstaatlichkeit bezweifelt werden kann, andererseits sollte dies ein Warnsignal für die EU darstellen, sehr gut auf darauf zu achten wo das Geld hinfließt, das man in den Nahen Osten schickt. Für Nazzal existiert eine solche Unterstützung des Terrorismus gar nicht erst.
Ein großer Diskussionspunkt stellten die jüdischen Siedlungen in besetztem Gebiet dar. Diese bezeichnet Nazzal als Kriegsverbrechen, die „sozial, wirtschaftlich und gesundheitlich“ gefährlich für die palästinensische Bevölkerung seien. Dieser Teilaspekt des Konflikts wurde als der zentrale Grund für den Konflikt im Nahen Osten angeführt. Als gäbe es ohne die jüdischen Siedlungen bereits ein friedliches Miteinander. Auch der Aspekt, dass eine Räumung der Siedlungen eine Vertreibung von Jüd_innen darstellen würde, wurde nicht – und wird fast nie – angesprochen. Eine zu starke Fixierung auf die Problematik des israelischen Siedlungsbau verschleiert die eigentlichen Grundlagen des Konflikts.
Auf die Frage, ob die Hamas, welche im Gazastreifen regiert, denn überhaupt eventuelle Friedensverhandlungen der Fatah mit Israel mittragen würde, verwies Nazzal auf das, wenige Tage zuvor erschienene, Grundlagenpapier der Hamas. Er berichtet von einer „inneren Zufriedenheit“ die sich bei ihm eingestellt hat, als er las, dass die Hamas die Grenzen von 1967 anerkennen würde. Woher er diese Annahme nimmt ist allerdings fraglich. Tatsächlich schreibt die Hamas in ihrem Papier: „Es wird keine Anerkennung der Legitimität der zionistischen Entität geben. … Die Hamas lehnt jede Alternative zur völligen und kompletten Befreiung Palästinas, vom [Jordan-]Fluss bis zum [Mittel-]Meer, ab.“³ Aufgrund einiger Umformulierungen wie z.B „das zionistische Projekt“ anstelle von „den Juden“, soll das Standing der Hamas international aufpoliert werden, jedoch hat sich nichts an ihrem antisemitischen Vernichtungswillen geändert. Obwohl Nazzal sein wohliges Bauchgefühl selbst mit der Aussage, er glaube der Hamas kein Wort, widerlegt hat, sieht er dieses Grundlagenpapier als Basis eines zukünftigen Friedensprozesses. Gerade hier lässt sich die Absurdität der Podiumsdiskussion, die von Nazzal ohne rationale Argumente geführt wurde, gut erkennen. Das sah man auch schön daran, dass Nazzal die antisemitische Kindsmordlegende anführte, um das Publikum für sich zu gewinnen. Auch seine Aussage, niemand solle niemanden bombardieren, die zu Applaus führte, schlug in diese Kerbe.
Der letzte Punkt der Podiumsdiskussion betraf die Debatte über eine Kennzeichnungspflicht für Waren aus israelischen Siedlungen. Nazzal forderte trotz des Einwands der doppelten Standards eine Einführung dieser Kennzeichnungspflicht. Dass dann auch beispielsweise Produkte aus der von Marokko besetzten Westsahara gekennzeichnet werden müssten, wies er mit der Aussage, man könne ja bei Israel anfangen, zurück. Die Kennzeichnungspflicht stellt eine zentrale Forderung der antisemitischen BDS-Kampagne dar, die sich in den letzten Jahren immer größerer Beliebtheit erfreut und eine Neuauflage der Aussage „Kauft nicht bei Juden!“ beinhaltet. Eine einseitige Benachteiligung Israels manifestiert den Status als „Jude unter den Staaten“.
Bereits vor der Veranstaltung wurde auf Facebook antisemitisch kommentiert. Da hieß es beispielsweise: „die Juden aus Israel beherrschen und unterdrücken durch die USA und ihre finanzielle Macht die gesamte Welt. Wie kann diese Macht gebrochen werden.“ Auch nach einer Öffnung des Podiums kam aus dem Publikum die antisemitische Äußerung, Israel sei durch Terror und Gewalt auf den Leichen der Palästinenser_innen erbaut. Damit war unserer Meinung nach durch die Besetzung des Podiums der Grundstein gelegt, denn eine solche Besetzung zieht nunmal Antisemit_innen an.
Einen skurrilen Auftritt legten dann noch sechs AktivistInnen der Identitären Bewegung hin, die in Burkas die Bühne stürmten. Auf ihrem Transparent stand: „Religionsfreiheit statt Islamisierung“, auch die anderen mitgeführten Zettel richteten sich gegen den Islamismus. Die identitäre Bewegung zeigte damit wieder einmal, dass ihre vermeintliche Islamkritik auf nichts weiter als Rassismus fußt. Denn man kann der Fatah viel vorwerfen, islamistisch ist sie nicht: Themaverfehlung par excellence.
Das Fazit des Abends ist, dass das Junge Europa unter dem Vorwand alle Seiten hören zu wollen, eine Podiumsdiskussion, mit grundsätzlich fragwürdiger Thematik organisiert hat. Diese Herangehensweise stellt grundlegend einen Trugschluss dar, denn es wurde einem antiisraelischen Hetzer eine Plattform geboten. Ähnliches ereignete sich bereits bei einer Veranstaltung des Jungen Europa am 8.Dezember 2016, als dem politischen Arm von Erdogans AKP in Deutschland, dem Verein UETD, eine Plattform geboten wurde. Das Junge Europa hat für sich nach der Veranstaltung das Fazit gezogen, man habe sich unterschiedliche Positionen anhören können und das sei gut. Dass eine dieser Positionen keinerlei rationale Grundlage hatte und hat, spielt für die Veranstalter_innen keine Rolle. Man hat völlig sinnlos antiisraelischer Hetze eine Plattform geboten. Wir hoffen die Veranstalter_innen lernen aus diesem Fauxpas, halten es allerdings für unwahrscheinlich.
anita f. – antifaschistische Gruppe in Regensburg im Mai 2017
¹ http://www.wiesenthal.com/atf/cf/%7B54d385e6-f1b9-4e9f-8e94-890c3e6dd277%7D/TT_2016REPORT.PDF
² http://www.nationalreview.com/article/443390/john-kerry-speech-israel-jewish-democratic-one-state-solution-islam
³ http://www.mena-watch.com/mena-analysen-beitraege/kein-schwenk-der-hamas/