2020.07.11 // Redebeitrag

Redebeitrag über Verschwörungsmythen, deutschen Nationalismus und Antisemitismus, gehalten auf der Kundgebung der Initiative gegen Rechts am 11.07.2020 in Regensburg

Die Behauptung einer „Corona-Diktatur“ ist unter den Teilnehmer_innen und Aktiven der Corona-Proteste Konsens. Auch wenn es bei Teilnahmezahlen von mehreren Hundert nicht möglich ist, alle Teilnehmenden miteinzubeziehen und diese sich aus diversen Spektren zusammensetzen, zeichnen sich doch zwei Kernaussagen ab: Die Behauptung einer Verschwörung durch eine kleine, die Menschheit beherrschende Elite (“New World Order”) und die gleichzeitige Selbstinszenierung als erleuchteter Kreis und aufgeweckte Schafe, der sich heroisch gegen das Unrecht, den moralischen Verfall und die Eliten der NWO auflehnt.

Ersteres geht im Kern auf den antisemitischen Mythos der jüdischen Weltverschwörung zurück, bei dem Antisemit_innen „die Juden“ als übermächtig, gierig, skrupellos und unmenschlich charakterisieren. Der kleinen (häufig jüdischen) Elite wird dermaßen viel Macht zugeschrieben, dass jede noch so absurde Verschwörungserzählung plausibel scheint. Inhaltlich dominieren bei den Corona-Rebellen sogenannte Impfkritiker_innen mit ihrer Verschwörungserzählung über Bill Gates und dessen Stiftung. Ihm wird der Plan unterstellt, alle Menschen durch Zwangsimpfungen mit RFDI Chips zu versklaven oder die Weltbevölkerung mit Hilfe von Impfungen zu dezimieren. Auch die Verschwörungsideologie um QAnon (laut der eine Elite unterirdisch Kinder hält, quält und tötet, um ein Verjüngungsserum aus ihnen zu gewinnen) ist bei den Demonstrant_innen in Regensburg beliebt.

Die sogenannte “Corona-Lüge” und die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus sollen eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der Machtbestrebungen der sogenannten NWO spielen und den Widerstand brechen. So werden in den Telegramgruppen die abstrusesten Theorien und Argumentationsmuster unkritisch rezipiert und als Beleg für eine große Verschwörung angesehen. Die Inhalte werden geradezu aggressiv legitimiert und jeder Hauch einer Kritik, und sei sie nur intern geäußert, als Verrat an der angeblichen Freiheitsbewegung, wenn nicht sogar als koordinierter Beitrag zur Verschwörung gegen diese, verstanden.

Der zweite ideologische Kern der selbsternannten Bewegung, das Selbstbild als heroisch gegen den (zumeist linken) Mainstream Kämpfende, ist eine Kernerzählung der extremen Rechten und äußert sich in den derzeitigen Protesten in der Übernahme rechter Themen wie die Hetze gegen „die Medien“, Bundeskanzlerin Merkel und die “Antifa”. Sie alle zählen für die Corona-Rebellen zu den Handlangern der NWO.

Im Selbstbild der Corona-Rebellen ist ein deutscher Nationalismus omnipräsent. Seit Beginn der Proteste am Haid- bzw. Domplatz wurde die deutsche Nationalhymne gesungen und Deutschlandfahnen gezeigt. So wird sich gemeinsam auf das nationale Kollektiv, das im Kontrast zu den internationalen agierenden, “vaterlandslosen” Eliten steht, eingeschworen. Der positive Bezug auf Deutschland dient den Corona-Rebellen dazu, sich moralisch auf der richtigen Seite zu wähnen.

Die beschriebene Kombination aus Verschwörungsideologie und Nationalismus führt schließlich zu der paradoxen Situation, dass Antisemit_innen ihre eigene Position mit der von Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus gleichsetzen. Schoa-Relativierungen durch Aufschriften wie „Impfen macht frei“ oder „1933 = 2020 aufwachen!“ waren ebenso Teil der Regensburger Proteste wie ein selbstgebastelter, sogenannter „Judenstern“ mit der Aufschrift „Nicht Corona geimpft“, den zuletzt ein Ordner auf einer Kundgebung am Domplatz trug.

Die Verschwörungstheorien und die Überzeugung, die oder der letzte Widerstandsaktivist_in gegen die NWO und deren Elitenpläne zu sein, macht den Protest der Corona-Rebellen zum Sammelbecken für die gesamte extreme Rechte. Würde diese Stimmung zum Nährboden für die nächsten Rechtsterrorist_innen, die sich legitime Vollstrecker des “Volkswillens” sehen, wäre dies nicht das erste Mal.