2013.04.30 // Aufruf: „Unsere Solidarität gegen ihre Ausgrenzung!“

 

Aufruf von [anita_f.] – antifaschistische Gruppe in Regensburg
zur Demonstration „Bleiberecht für alle“
am 30. April 2013, 18°° Uhr | Hauptbahnhof Regensburg

Unsere Solidarität gegen ihre Ausgrenzung!

Die Lebensrealität von Geflüchteten in Deutschland schockiert. Dies musste im vergangen Jahr selbst die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), feststellen. Das „bewegendste Gespräch“ ihrer Amtszeit erlebte sie Ende Oktober letzten Jahres, als sie – scheinbar zum ersten Mal in ihrem Leben – mit Geflüchteten sprach. Offensichtlich ist es also nötig monatelang in Zelten in verschiedenen Innenstädten zu leben, mehr als 600 Kilometer zu laufen und dann vor einem Wahrzeichen Deutschlands in den Hungerstreik zu treten bis eigentlich diejenigen die für die Lebensrealität von Geflüchteten verantwortlich sind, diese zur Kenntnis nehmen. Dennoch „ergeben sich aus den vereinzelten Protestfällen für die Bundesregierung keine zwingenden Schlussfolgerungen.“

„Ich glaube, das steht einem Land wie Deutschland auch gut zu Gesicht“ so Angela Merkel (CDU) in ihrer Rede zum 60-jährigen Bestehen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Und weiter: „einem Land, das heute vielen hilfsbedürftigen Flüchtlingen die Hand reicht, einem Land, von dem in der Vergangenheit aber auch unermessliches Leid ausgegangen ist.“ Dieses „Leid“, der barbarisch deutsche Vernichtungskrieg, zwang massenhaft Menschen zur Flucht aus Deutschland. Diese sahen sich zumeist in anderen Staaten mit einer restriktiven Aufnahmepraxis konfrontiert.

„Mein Freund ist Neger“ – Der „Antirassismus“ der Deutschen

„Politisch verfolgte genießen Asyl“ so hieß es deshalb lapidar im ehemaligen Artikel 16 des Grundgesetzes der „neugegründeten“ BRD , bis zur de facto Abschaffung des Rechtes auf Asyl am 25. Mai 1993. Vorausgegangen war schon seit 1980 eine Aushöhlung des Artikels 16. Diese wurde sukzessiv bis 1993 fortgeführt und durch CDU, CSU, FDP und SPD vollendet. Unterstützt und gefordert wurde dies vom deutschen Volk sowie dem aus ihm entstehenden tödlichem Mob. Das mehrtägige Pogrom im August 1992 in Rostock – Lichtenhagen und laut offizieller Statistik 681 „Brandanschläge auf Heime und Hütten von Ausländern“ im Jahr 1992 sind dabei der Ausdruck dessen zu dem die Deutschen fähig waren und sind.

Die wieder erstarkende Volksgemeinschaft mitsamt ihren tödlichen Auswüchsen, schadete in den Augen der führenden Politiker_innen und Medien aber weniger den unmittelbar Betroffenen, als vielmehr dem Ansehen Deutschlands in der Welt. Lichterketten wurden im ganzen Land angesteckt und Nazis wurden und werden so nicht mehr als der Ausdruck einer von menschverachtenden Ideologien geprägten „Mitte der Gesellschaft“ sondern viel mehr als ihre „Schande“ wahrgenommen. Die scheinbare „Mitte der Gesellschaft“ generierte sich so als diskriminierungsfrei. Rassismus wurde und wird nur als individuelles Problem von Einzelnen dargestellt, wobei er niemals bei einer_einem selbst erkannt oder gar vermutet wird.

Rassismus als Ideologie des Kapitalismus

Rassismus hat als gesellschaftliches Verhältnis viele Formen, Facetten und Ursprünge. Diese sind in der gesamten Gesellschaft mit all ihren Teilbereichen wirkungsmächtig. Deshalb ist es auch nicht zufällig, dass Rassismus als Ideologie eine zentrale Funktion im Kapitalismus hat. In diesem befinden sich (fast) alle Menschen, ob sie nun wollen oder nicht, in ständiger Konkurrenz zueinander, da sie angewiesen sind, als Lohnarbeiter_innen ihre eigene Existenz zu sichern. So wird in der Hierarchie nach oben gebuckelt um anschließend nach unten zu treten. Doch statt angesichts dieser ständigen Einschränkung der Lebensqualität die Forderung nach der Überwindung des Kapitalismus zu formulieren, wird die eigene konstruierte Nation angerufen. Der immanente Konkurrenz- und Anpassungsdruck an die Verhältnisse wird so durch Weitergabe an andere kompensiert. Dies geschieht indem sich die „Eigengruppe“ gegen die der „anderen, Fremden“ abgrenzt. Das „eigene Gemeinwohl“ muss gegen die „äußeren Feinde“ geschützt werden.
So werden auch Geflüchtete kaum noch als vor Krieg, Hunger oder Elend schutzsuchende Personen, sondern als sogenannte Schmarotzer, welche das „deutsche Sozialsystem“ ausnutzen wollen, wahrgenommen. So behaupten nach der Studie „Die Mitte im Umbruch“ 36 Prozent der Deutschen, dass „Die Ausländer nur hierher kommen, um unseren Sozialstaat auszunutzen.“ Hinzu kommen rassistische Ressentiments, welche Geflüchtete als per se jenseits der eigenen Vorstellung der „deutschen Norm“ ansiedeln. So stehen sie unter Generalverdacht und werden wahlweise als schmutzig, arbeitsscheu, triebgesteuert, laut und kriminell stigmatisiert. Entsprechend sind die Reaktionen, wenn die Deutschen mit dem geflüchteten Leben konfrontiert sind.

Deutschland als Vorreiter der Abschreckungspolitik

Doch nicht nur dies zeigt Geflüchteten, dass sie_er in Deutschland nicht willkommen ist. Laut bayerischer Asyldurchführungsverordnung soll die zwangsweise Unterbringung in den Flüchtlingslagern „die Bereitschaft zur Rückkehr ins Heimatland fördern“. Residenzpflicht, Arbeitsverbot, Essenspakete, die Verweigerung der freien Arztwahl und die diskriminierende Behandlung durch die Behörden sind nur einige der Repressalien des Staates. Hinzu kommt die unvorstellbare immanente Angst vor einer drohenden Abschiebung. Das jahrelange Warten in den oft heruntergekommen Flüchtlingslagern, zumeist gemeinsam mit mehreren traumatisierten Personen in einem Zimmer, ist oftmals das Ende einer jahrelangen Flucht und treibt viele Menschen in Perspektivlosigkeit, Depression, Alkoholismus oder gar Suizid.
Diese Asylpolitik dient europaweit als Vorbild. Je mehr die einzelnen europäischen Länder zusammenarbeiten, umso gefährlicher wird es für Geflüchtete nach Europa einzureisen. Die legalen Wege sind dabei kaum noch vorhanden, die Grenzsicherung wird technisch hochgerüstet und militärisch wird gegen die unerwünschte Migration vorgegangen. Geflüchtete nehmen deshalb immer gefährlichere Routen auf sich und sind auf Schleuser_innen angewiesen. Das Mittelmeer wird zum größten Massengrab Europas im 21. Jahrhundert, mehr als 16.000 Menschen starben dort während ihrer Flucht. Medien und die europäische Mehrheitsgesellschaft interessierte der Untergangs des Kreuzfahrschiffes „Costa Concordia“ vor einem Jahr mehr.

Schulter an Schulter – Solidarität muss praktisch werden!

Gerade deshalb gilt es auf die Lebensrealität von Geflüchteten aufmerksam zu machen. Unterstützung ist jedoch nicht unser politischer Anspruch – dies sollte eine Selbstverständlichkeit sein –, stattdessen richtet sich unsere Kritik gegen die Wurzeln der Ausgrenzung und Unterdrückung: Rassismus, Nationalismus und Kapitalismus. Die Überwindung der Verhältnisse steht aber leider nicht auf der Tagesordnung, weder am 30. April in Regensburg noch am 1. Mai in Berlin Kreuzberg. So gilt es mit Hilfe einer grundsätzlichen Kritik sich für die Abschaffung der rassistischen – völkischen Gesetze für Geflüchtete im Hier und Jetzt zu engagieren. Es geht darum Essenspakete oder die zwangsweise Kasernierung von Geflüchteten nicht etwa abzulehnen, da sie ökonomisch günstiger sind, sondern weil diese Zustände, in denen Menschen gezwungen sind zu leben, besser heute als morgen enden müssen.
Idealerweise wird dieser Kampf gemeinsam mit Geflüchteten geführt. Dies sollte mit Hilfe einer gleichberechtigten politischen Auseinandersetzung geschehen und gegebenenfalls in einer solidarischen Zusammenarbeit münden. Dabei gilt es zu beachten, dass wir weder den rassistischen Repressalien des Staates, noch der ihm immanenten Abschiebungen ausgesetzt sind. Wir wissen nicht wie sich die abwertenden Blicke der Mehrheitsgesellschaft anfühlen. Wir können uns nicht vorstellen, wie diskriminierend der regelmäßige Gang zur Ausländerbehörde sein muss. Wir leben nicht mit der Angst in Hunger, Krieg, Folter oder gar den Tod abgeschoben zu werden.

Für eine Perspektive jenseits von Nation, Kapitalismus und deutschen Rassismus

Die Lebensrealität von Geflüchteten ist Ausdruck eines kapitalistischen Systems, dass eben nicht dazu führt, dass alle Menschen im versprochenen Wohlstand und Glück leben können. Stattdessen produziert und reproduziert Kapitalismus Elend und Ausgrenzung für einen Großteil der Menschen. Deshalb gilt es für uns die gesellschaftlichen Zustände umzuwerfen und die freie Assoziation der Individuen zu fordern. Dies wird nur realisierbar sein ohne Staat, Nation und Kapitalismus.

Von den Politiker_innen dieses Staates erwarten wir deshalb nichts und versuchen dem alltäglichem, institutionellem und tödlichem Rassismus etwas entgegen zusetzen. Linksradikale Politik muss sich neben einer tiefgreifenden Analyse der Verhältnisse auch praktisch an Widerstand von Geflüchteten beteiligen. In diesem Sinne: Unsere Solidarität gegen ihre Ausgrenzung!