2012.07.06 // Kundgebung „Solidarität mit den hungerstreikenden Iranischen Flüchtlingen“

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Aufruf:

Der Selbstmord des in Würzburg kasernierten Flüchtlings Mohammad Rahsepar im Januar dieses Jahres löste bei Familie, Freunden und Bekannten Trauer, Bestürzung und Verzweiflung aus. Für einige seiner Leidensgenoss_innen wurde seine verzweifelte Tat zum Fanal. Seit dem 19. März protestieren mehrere iranische Flüchtlinge in der Würzburger Innenstadt gegen das inhumane deutsche Asylwesen. Wiederholt traten sie in den Hungerstreik um ihre eigene Anerkennung als politisch Verfolgte zu erreichen. Solidarisch stellen sie aber auch weitreichendere politische Forderungen, die das gesamte Asylsystem betreffen. Ihr Protest ist als verzweifelte Notwehrmaßnahme, mit der sich die ständig von Abschiebung bedrohten Flüchtlinge aus ihrer Lage zu retten suchen, zu begreifen. Er ist aber auch ein politischer Kampf gegen die zermürbenden, diskriminierenden und unmenschlichen Zustände, für die die deutsche und europäische Asylpolitik verantwortlich sind.

Für Außenstehende wirkt der Hungerstreik als Protestmittel erschreckend. Zu Recht, schließlich ist er mit enormen gesundheitlichen Risiken verbunden. Umso mehr sollte er die Mehrheitsgesellschaft wachrütteln: Hier greifen die Ausgegrenzten und Geächteten zu dem letzten Mittel das ihnen noch bleibt. Nicht aus Risikofreude, Todessehnsucht oder ähnlichem setzten sie ihr Leben aufs Spiel. Vielmehr geht es ihnen um die (Rück-)Eroberung eines menschenwürdigen Lebens. Sie flohen aus dem Iran, weil ihnen dieses dort verwehrt wurde. Nun sind sie in Deutschland gestrandet, dessen Asylpolitik sie treibsandartig in die Tiefe zu zerren droht. Die Hoffnung auf ein Leben, das diesen Namen auch verdient, wird in dem von Zwang und Ungewissheit bestimmten Flüchtlingsalltag zunichte gemacht. Der riskante Hungerstreik ist für sie der dünne, schwache Ast mit dem sie sich aus dem Sog befreien wollen. So auch Mohammad Hassanzadeh Kalali, der nach 25 Tagen „normalen“ in einen trockenen Hungerstreik überging. Glücklicherweise nahm er wieder Flüssigkeit zu sich, nachdem das für ihn zuständige Verwaltungsgericht Regensburg angekündigt hat, seinen Fall zu prüfen. Hierzu wurde eine Anfrage beim Auswärtigen Amt zur Situation im Iran eingereicht.

Mit dieser Kundgebung wollen wir unsere Solidarität mit Mohammad Hassanzadeh Kalali und allen anderen kämpfenden und verzweifelten Flüchtlingen zum Ausdruck bringen und über ihre Situation informieren. Den unten dokumentierten Forderungen der Würzburger Protestierenden schließen wir uns an! Das Verwaltungsgericht Regensburg fordern wir dazu auf, Mohammad Hassanzadeh Kalalis Asylantrag anzuerkennen!

Die Forderungen der streikenden Flüchtlinge:

1. Die Abschaffung des Systems der Gemeinschaftsunterkünfte.
Bei den Gemeinschaftsunterkünften handelt es sich um gefängnisähnliche Einrichtungen in denen sich häufig acht erwachsene Personen ein Zimmer teilen müssen. Sie verhindern die Integration in die Gesellschaft.

2. Die Abschaffung der Residenzpflicht.
Die Residenzpflicht bindet die Asylbewerber_innen an einen Landkreis oder ein Bundesland. Sie beschränkt ihr Recht auf. Selbstbestimmung, stellt eine unnötige Härte für viele Familien, Verwandte und Freunde dar, sie verhindert, dass Flüchtlinge möglichst schnell Arbeit bekommen oder bei Verwandten billig wohnen können. Kurz: Die Residenzpflicht verstößt gegen die Menschenwürde und ist durch nichts zu rechtfertigen. Eine Abschaffung der Residenzpflicht ist längst überfällig.

3. Die Abschaffung der Praxis der Zuteilung von Essenspaketen.
Die Versorgung mit Essenpaketen ist teuer, bürokratisch und in höchstem Grade entmündigend.

4. Die Einführung eines Anspruchs für jeden Asylbewerber_innen auf einen Rechtsbeistand und eine_n zertifizierte_n Dolmetscher_in, die sie/ihn von Beginn an in allen Stadien des Asylverfahrens unterstützen. Dies würde aber von vorneherein viele Verfahren beschleunigen und Asylbewerber_innen eine effektivere Wahrnehmung ihrer Rechte ermöglichen. Ohne derartige Begleitung besteht das Asylrecht nur auf dem Papier.

5. Die drastische Verkürzung der Dauer der Antragsbearbeitung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).
Eine Bearbeitungsdauer des Erstantrages auf Asyl von bis zu zwei Jahren und länger ist keine Seltenheit. Während dieser Zeit schweben die Asylsuchenden in einer ständigen Ungewissheit über ihren Status und ihre Zukunft. Im Zusammenhang mit dem Würzburger Hungerstreik hat sich gezeigt, dass eine Bearbeitung von Asylanträgen durch das BAMF in weniger als einem Monat möglich ist.

6. Die Einführung eines Anspruchs für alle Asylbewerber_innen auf professionelle
Deutschkurse ab dem ersten Tag. Ohne eigene eutschkenntnisse sind Asylbewerber_innen faktische hilflos und eine effektive Integration unmöglich.

7. Die Möglichkeit, den eigenen Lebensunterhalt durch Arbeit zu sichern.
Die Möglichkeit, den eigenen Lebensunterhalt durch Arbeit zu sichern ist unabdingbare Voraussetzung für die Teilhabe an
der Gesellschaft sowie einer erfolgreichen Integration.

8. Die Vereinfachung und Verkürzung des Verfahrens um eine Studienerlaubnis zu erhalten.
Angesichts der Tatsache, dass in Deutschland dringend hochqualifizierte Fachkräfte benötigt werden, schaden die hohen Hürden für eine Studienerlaubnis nicht nur der persönlichen Entwicklung der einzelnen Asylbewerber_innen, sondern auch
der gesamten deutschen Gesellschaft.

9. Die Vereinfachung der Möglichkeit der Familienzusammenführung (sowohl aus dem Ausland als auch im Inland).
Dass in der Regel Familienzusammenführungen nicht durchgeführt werden, sorgt bei vielen Asylsuchenden für erhebliche psychische Probleme. Dies ist auch eine der Hauptursachen für die zahlreichen Selbstmorde sowie Selbstmordversuche die sich in den letzten Monaten unter Flüchtlingen in der Bundesrepublik ereignet haben.

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Artikel:

Kundgebung.6.7.2012Mehrere Gruppen riefen am 06.07.2012 zu einer Solidaritätskundgebung mit den in Würzburg kämpfenden iranischen Flüchtlingen auf. Die Kundgebung, an der etwa 100 Personen teilnahmen, verlief erfolgreich. Im Anschluss zog noch eine kleine Spontandemonstration durch die Stadt.

Hintergrund für die Kundgebung ist der nunmehr über 100 Tage andauernde Straßenprotest iranischer Flüchtlinge in Würzburg. Wiederholt traten einige dabei auch in den Hungerstreik, mehrere nähten sich Anfang Juni sogar die Münder zu. Dies taten sie als „Reaktion auf die Passivität der Regierung […] um den Verantwortlichen und der Öffentlichkeit zu verdeutlichen, wie ernst es uns mit unseren Forderungen ist.“ Weiter heißt es in der 27. Pressemitteilung vom 13.06.2012: „Wir sind keine Masochisten. Diese Bewegung kann ebenso wenig als Verrücktheit abgetan werden. Mit einem bloßen Unterbinden unseres Protests kann das allgemeine Problem der Asylpolitik nicht gelöst werden. […] Die Regierung und die Öffentlichkeit müssen wissen, dass wir Menschen sind, die in ihrer Heimat für Freiheit gekämpft haben. Wir werden dies auch hier und jetzt tun. Politische Aktivität ist keine Droge, die man sich abgewöhnen kann und Freiheit ist nichts, was wir vergessen können.“

Seit gestern befindet sich als einziger Mohammad Hassanzade Kalali im Hungerstreik, nach dem vier der Protestierenden die Nachricht erhielten, dass ihre Asylanträge bearbeitet werden. Seine Lippen hat aber auch er gestern geöffnet, um „den Behörden einen Schritt entgegenzukommen“ (34. Pressemitteilung). Nach mittlerweile 33 Tagen Hungerstreik hat er 13 kg verloren. Da Mohammad der GU Cham zugeteilt ist, ist für ihn das Verwaltungsgericht Regensburg zuständig. Als er letzte Woche in einen trockenen Hungerstreik überging, also auch keine Flüssigkeit mehr zu sich nahm, kündigte dieses an seinen Asylantrag erneut zu prüfen. Sobald Informationen zur Verfolgungssituation im Iran vorlägen, so das Gericht, werde es zu einer Verhandlung kommen. Mohammad wertete dies als mögliches Entgegenkommen der Behörden und begann wieder Flüssigkeit zu sich zu nehmen.

„Als wir von der Neuprüfung Mohammads Asylantrags durch das Regensburger Verwaltungsgerichts von den protestierenden Flüchtlinge erfuhren, entschieden wir uns kurzfristig eine Solidaritätsaktion vor Ort durchzuführen,“ sagte eine Sprecherin der antifaschistischen Gruppe Anita F. „Mit der Kundgebung wollen wir ein Signal der Solidarität nach Würzburg senden. Wir unterstützen die Forderungen der Flüchtlinge nach Anerkennung als politisch Verfolgte sowie die Abschaffung der diskriminierenden, rassistischen Asylpolitik in Deutschland, die sich gerade in Bayern am schärfsten zeigt.“ Außerdem solle mit der Kundgebung die Regensburger Öffentlichkeit über die Situation und den Protest der Flüchtlinge informiert werden, so die Sprecherin weiter. Hierzu wurden 500 Flugblätter, auf denen unter anderem die Forderungen der Flüchtlinge dokumentiert wurden, verteilt. Mit dem Flugblatt und auch in den Redebeiträgen wurde das Auswärtige Amt aufgefordert, Mohammads Verfolgungssituation anzuerkennen. Vom Regensburger Verwaltungsgericht wurde gefordert, das Verfahren dann so schnell wie möglich mit einem positiven Ergebnis für Mohammad Hassanzade Kalali abzuschließen, denn als Atheist und Kommunist, der im Iran gegen das Regime agitierte, droht ihm bei einer Abschiebung die Todesstrafe.

Mit ihrer Teilnahme an der Kundgebung solidarisierten sich 100 Menschen mit Mohammad und dem Protest der Flüchtlinge in Würzburg. Unter ihnen waren zahlreiche Einzelpersonen sowie Vertreter_innen verschiedener Organisationen und Gruppen (Amnesty International, Anita F.,  Asta der Uni Regensburg, BI Asyl, Danz Hausprojekt, Jusos, SDS, SDJ Falken, ver.di Jugend). Auf zahlreichen Transparenten wurde die deutsche Asylpolitik angeprangert und an die Solidarität der Passant_innen appelliert. Redebeiträge wurden unter anderem von Anita F. und BI Asyl gehalten. Verlesen wurden Pressemitteilungen der hungerstreikenden Flüchtlinge sowie deren Forderungen, die sie auch als E-Petition an den Bundestag  richten. Ebenso wurde sich mit den streikenden Flüchtlingen in Aub und Bamberg solidarisert. Hierzu wurden Ausschnitte aus deren Erklärungen verlesen, die abermals die fatale Situation der Flüchtlinge in Bayern bzw. Deutschland verdeutlichten. Höhepunkt war der Redebeitrag eines Flüchtlings aus der GU Cham. „Im Moment sind wir auf der Suche nach einem Weg, den Protest fortzusetzten, die Situation in Würzburg ist momentan unklar. Sicher ist nur, dass wir weitermachen werden, irgendwo in Deutschland, vielleicht auch in Regensburg. Heute habe ich noch keine guten Nachrichten. Aber hoffentlich sieht das bald anders aus. Dazu werden wir aber viel Solidarität und Unterstützung brauchen.“ Die Teilnehmer_innen der Kundgebung bekundeten ihre Bereitschaft dazu mit kräftigem Applaus. Mit der kurzen Spontandemo, die nach der Kundgebung stattgefunden hat, unterstrichen sie dies zusätzlich. „Egal wo der Protest weitergehen wird, wir werden weiterhin solidarisch bleiben. Die zahlreiche Unterstützung der Kundgebung heute werten wir als Zeichen, dass wir damit nicht alleine stehen“ resümierte die Sprecherin der Anita F.

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Presseartikel:

Regensburg-digital: Gleiches Recht für Alle

Indymedia: Regensburg: Solikundgebung Flüchtlinge