2007.04.23 // Redebeitrag zum 23. April

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Redebeitrag:

Sechs Jahrzehnte nach dem Zivilisationsbruch der Shoa scheint der bundesdeutsche Mainstream einig wie lange nicht. Durch Relativierung deutscher Schuld und der Konstruktion eines deutschen Opfermythos will man zurück zur unbeschwerten deutschen Identität, zu einer Identität, die neuerdings die Gräueltaten des Vernichtungswahns vorgibt zu berücksichtigen, weil man als moderne PatriotIn – wie es so schön heißt – aus der Geschichte gelernt habe. Von Zivilisationsbruch keine Rede mehr. 62 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz soll die Ermordung von Millionen Menschen aussehen wie verwirrte Einzeltäterschaft, man habe schließlich „von nichts gewusst“.
Doch 6 Millionen europäische Jüdinnen und Juden, zehntausende Homosexuelle, hunderttausend Euthanasieopfer verschwinden nicht unbemerkt, Wohnungen werden nicht unbemerkt arisiert. Wer war es denn, der anschließend in eben diese Häuser zog, der jüdische Geschäfte boykottierte und geraubte Kunstgegenstände in seine Sammlungen einreihte? Was da vor den Augen der Deutschen geschah war offensichtlich, die Schuldfrage ist geklärt.

Doch wie soll man sich zu neuem Nationalstolz bekennen, sich fallen lassen in die deutsche Gemeinschaft mit der Vergangenheit im kollektiven Bewusstsein. Der einzige offenbare Weg, der zu beschreiten bleibt, ist die Konstruktion eines deutschen Opfermythos.

So verwandelt sich in der ¨offentlichen Wahrnehmung die Befreiung durch die Alliierten zur erdrückenden Besatzung und sächsische Landtagsabgeordnete der NPD werden mit Worten wie „Bombenholocaust“ zu Stichwortgebern für bundesweite Debatten. So nimmt die Relativierung des Holocausts ihren Lauf. Die Deutschen wollen mindestens genauso gelitten haben und sich zu Opfern des Nationalsozialismus und überhaupt eines jeden Totalitarismus stilisieren. Und das von der NPD bis zur Mitte. Dem Bewusstsein Schuld zu tragen für das Unsägliche was geschah, wird etwas entgegengesetzt, um dieses ertragen zu können. Der einfachste Weg ist, ein anderes Unrecht herbei zu halluzinieren, das der eigenen Identitätsgemeinschaft angetan wurde. Die Täter von damals werden zu Opfern. Dass dabei die eigentlichen Opfer zu Täter werden, ist so häufig wie tragisch. Schuldabwehr scheint das Wort der Stunde. Wollte man sich in den 70ern vom „Judenknacks“ befreien, was als Grund für einen versuchten Bombenanschlag auf ein jüdisches Gemeindezentrum durch eine vermeintlich linke Gruppe herhalten musste, spricht man heute von der „Moralkeule Auschwitz“, wie es der fleischgewordene deutsche Opfermythos Martin Walser tat. Damit lieferte er für viele die lang ersehnte Vorlage, endlich die Erinnerung an Auschwitz mit dem Bann des Ewiggestrigen zu belegen. Erstaunlich dabei ist, dass immer häufiger neben den Rechten auch Teile der als links oder liberal geltenden Öffentlichkeit als Stichwortgeber auftreten und nicht etwa nur die klassischen AntisemitInnen, von denen man es sowieso erwarten muss.

Doch für AntifaschistInnen ist der Fall klar: Die militärische Befreiung vom deutschen Faschismus durch die Alliierten all jener, die der Vernichtung entgangen oder in Arbeitslagern zusammengetrieben waren, war und bleibt das Einzige was hier zählt. Die Kriegsmaschinerie und die durchgeknallte Volksgemeinschaft, die bis zum bitteren Ende für Deutschland kämpfen wollte, mussten gestoppt werden – hierzu gab es keine Alternative.

Abgesehen von einzelnen Widerstandsgruppen waren es letztlich allein die Alliierten, welche die Konzentrations- und Vernichtungslager von Auschwitz-Birkenau und Bergen-Belsen befreiten und die dahinter stehende Vernichtungsmaschinerie zerstörten. Dank ihnen überlebten von 400 verschleppten Regensburger JüdInnen einige wenige. Für uns ist die Situation eindeutig: Befreiung – was sonst?

Den Millionen Ermordeten der Nazibarbarei.